Tausend Strafanzeigen in Köln


jelpkeDie Bundestagsabgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, äußerte sich in einem Interview kürzlich über die deutsche Asylpolitik und die Vorfälle in Köln. Im Zuge der Ereignisse in Köln wurde das Menschrecht auf Asyl eingeschränkt und Jelpke vermutet, dass diese nur der Auslöser waren, um die Einwanderungspolitik zu verschärfen.
Aus diesem Interview werden einige Auszüge widergegeben:

Was ist Ihre Meinung zu den Ereignissen von Köln?
In jedem Fall gab es ein Polizeiversagen und eine Vielzahl von Straftaten, bei denen es aber für mich immer schwieriger wird, deren Hergang zu durchschauen: Wir sind jetzt bei tausend Strafanzeigen angelangt. Und es ist eine enorme Instrumentalisierung durch Politik und Medien zu beobachten, die nach meiner Meinung zu einem Kippen der Stimmung in Deutschland gegenüber Flüchtlingen führt. Dass die Unionsparteien jetzt Maßnahmen, die sie schon immer durchsetzen wollte, nämlich eine verschärfte Ausweisungspolitik mit der Möglichkeit von Ausweisungen bei einer Bewährungsstrafe von nur einem Jahr, jetzt sofort aus der Schublade herauskramen, passt dazu. Mit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht wird über die Medien und die Politik Druck aufgebaut, um Menschenrechte weiter auszuhebeln und das Strafrecht zu verschärfen – und das alles, ohne bislang genau zu wissen, wer die Täter überhaupt waren.

Wie sehen Sie also die Vorfälle von Köln?
Ich kann nur sagen, dass ich es ganz schlimm finde, wie diese Vorfälle instrumentalisiert werden, um in der Bevölkerung eine fremden- und flüchtlingsfeindliche, rassistische Stimmung zu erzeugen. Hauptverantwortlich dafür sind die Politiker, die diese Stimmung nutzen, um alle möglichen Gesetze durchweg zu verschärfen und ihre Anti-Asyl-Politik durchzudrücken.

Können Sie sich vorstellen, dass die Tätergruppen in Köln tatsächlich nordafrikanischer Herkunft sind?
Ich kann mir vorstellen, dass Leute teilweise illegal hierher kommen, in deren Ländern besondere Armut herrscht, wie es etwa in Algerien und Marokko der Fall ist. Manche von ihnen versuchen erst gar nicht, einen Asylantrag zu stellen, weil sie Angst vor der Ablehnung haben. In ihrer ausweglosen Situation gleiten sie dann in illegale Beschäftigung oder in die Kriminalität ab.

Sind die Vorfälle im Zusammenhang mit dem Islam zu sehen?
Ich warne davor, die Kölner Ereignisse vor dem Hintergrund einer bestimmten Religion erklären zu wollen. Schon dass ein Großteil der Männer vor dem Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht offenbar sturzbesoffen war, spricht ja wohl nicht gerade für besonders religiöse Muslime. Frauenverachtung ist auch kein Spezifikum des Islam. Nahezu sämtliche Religionen beinhalten ein rückständiges Frauenbild. Im Zuge der Modernisierung der europäischen Länder wurde das im Christentum teilweise abgemildert, wobei es hier durchaus Ausnahmen gibt, wie etwa der polnische Katholizismus oder die evangelikalen Christen in den USA beweisen. Aber in wirtschaftlich unterentwickelt gehaltenen und damit auch sozial rückständig gebliebenen Ländern konnten sich auch die Religionen nicht weiterentwickeln. Das gilt für den Islam in Nordafrika ebenso wie für den Hinduismus in Indien- einem nichtislamischen Land, in dem es zu besonders vielen Fällen von Gruppenvergewaltigungen kommt.

Müssen aus den Ereignissen Konsequenzen gezogen werden?
Wir brauchen eine Debatte um den effektiven Schutz von Frauen vor sexualisierter Gewalt und wir brauchen offensichtlich auch Veränderungen in den Reihen der Polizei, die an jenem Abend und auch im Nachgang dazu in ihren Aufgaben klar versagt hat. Die zentrale Lehre für linke, emanzipatorische Menschen sollte zudem sein, dass der Kampf gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt und der Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nur gemeinsam geführt werden kann und muss.

Das vollständige Interview von Reinhard Jellen mit Ulla Jelpke ist am 06.02.2016 bei „Telepolis“ erschienen.