Wolfgang Abendroth


Professor und Partisan

So bezeichnete ihn Jürgen Habermas; Arno Klönne nannte ihn „Traditionalist“. Wolfgang Walter Arnulf Abendroth wurde am 2. Mai 1906 in Elberfeld geboren. Am 15. Sep. 1985 ist der „sozialistische deutsche Politologe und Rechtswissenschaftler“ (Wikipedia) gestorben.

67_501x0_0_0In Wuppertal besuchte er das Helmholtz-Gymnasium und machte als Sohn überzeugter Sozialdemokraten, von Berufsverbot bedrohte Lehrer, schon früh Erfahrungen in der damaligen linken Jugendbewegung. Abendroth suchte stets die offene Diskussion mit Menschen anderer politischer Einstellung und trug andererseits einen heftigen Streit innerhalb seines Jugendverbandes über die Beziehung von Religion und Politik aus – besonders mit der „Freien sozialistischen Jugend“ in Elberfeld. Zugleich war er im Deutschen Freidenkerverband aktiv. Das war der Beginn seiner Sozialisation im rauen politischen Klima des kaiserlichen Obrigkeitsstaats.

gemeinsam mit GriechenIn Deutschland hatte ab 1933 Berufsverbot und promovierte daher an der Universität Bern. Kaum wurde seine Dissertation veröffentlicht, wurde sie von der Gestapo beschlagnahmt, Abendroth wurde verhaftet und wegen Hochverrats zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Schon in der Freien Sozialistischen Jugend hatte er Lisa Hörmeyer kennen gelernt. Sie konnten aber erst im Jahre 1946 heiraten, weil er bald nach seiner Haft zur Strafdivision 999 eingezogen wurde. Dort desertierte er zur griechischen Widerstandsorganisation ELAS, wurde britischer Kriegsgefangener und trat 1944 in die SPD ein.

Abendroth entschloss sich, das Jura-Examen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) abzulegen und wurde 1947 zum Richter beim Landgericht Potsdam bestellt. Er lehrte an den Universitäten Halle, Leipzig und zuletzt als Professor in Jena bis er 1948 aus Furcht vor politischer Verfolgung mit seiner Familie nach Westdeutschland ging. 1951 wurde er in Marburg Professor am Institut für wissenschaftliche Politik und Begründer der „Marburger Schule“. Unter den überwiegend konservativen Professoren, von denen viele dem faschistischen System treu gedient hatten, war Abendroth ein Außenseiter. Unter der Diskriminierung des „roten Abendroth“ in der Zeit des Kalten Kriegs hatte vor allem seine Familie sehr zu leiden.

Zentrales Anliegen war für ihn die Verteidigung und der Ausbau des demokratischen und sozialen Rechtsstaates. Dies war für ihn immer eine Voraussetzung für eine sozialistische Gesellschaft als Weiterentwicklung der Menschenrechte und der bürgerlichen Freiheiten. Unter Sozialstaat verstand Abendroth nicht nur soziale Sicherungssysteme, sondern auch „Wirtschaftsdemokratie“, echte Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Gewerkschaften.

W_Abendroth-und-StudentenEr geriet immer wieder mit der herrschenden Linie in Konflikt: Aus der KPD wurde er 1928 ausgeschlossen, aus der SPD 1961. Er unterstützte den SDS und war im Beirat des Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) der DKP. Zusammen mit Ernst Bloch, Ossip K. Flechtheim und Erich Kästner initiierte er in den 60er Jahren die Ostermarsch-Kampagne. 1968 gründete er den Bund demokratischen Wissenschaftler, der sich ab 1972 stark gegen politische Berufsverbote engagierte. Abendroth lehnte die Rolle des distanzierten Wissenschaftlers ab. Mit seinen Schriften „Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie“ (1964) und „Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung“ (1966) leistete er Pionierarbeit für eine Geschichtsschreibung, die nicht auf Abgrenzung basiert, sondern vielmehr versucht, Gesellschaftstheorie mit empirischer Sozialforschung zu verbinden. Der Bezug zum historisch Konkreten steht im Vordergrund, damit bleiben getroffene Aussagen überprüfbar. Reine Theorieproduktion erschien ihm leer. Etliche Politikwissenschaftler/innen promovierten bei ihm, u.a. Frank Deppe, Georg Fülberth, Jürgen Habermas, Jürgen Harrer, Reinhard Kühnl.

Nach seinem Austritt aus der evangelischen Kirche mit 19 Jahren lehnte Wolfgang Abendroth als Mitglied des Freidenkerverbandes alle Religionen vollkommen ab. Während seines Studiums setzte er sich wissenschaftlich damit auseinander. In seinen gesammelten Schriften ist zu lesen: „Aber das Klassenbewusstsein unterdrückter Schichten äußert sich seinerseits wieder in religiösen Formen. Man denke an die Essäer, an das Urchristentum, an den Bauernaufstand: Die unterdrückten Schichten suchen den ursprünglichen Sinn der Religion gegen ihre vorhandene Form zu stellen. Auch jetzt ist die Religion keineswegs nur ‘Opium des Volkes‘, ein Mittel, die unterdrückte Klasse an die Herrenschicht zu binden. Die Religion in den Händen der Herrenschicht ist ein Machtmittel der Reaktion, aber in den Händen der unterdrückten Klasse wird sie zum Hebel der Revolution.“

Abendroth verlangte eine sehr genaue Untersuchung der Religionen und ihrer unterschiedlichen Funktionen in sozialen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Aber dass die kath. Kirche zu einem Instrument des Kampfes für eine solidarische Gesellschaftsordnung werden könnte, hielt er auf Grund ihrer bisherigen Geschichte für ausgeschlossen, denn sie ist „seit Konstantin hinter allen gesellschaftlichen Kräfteverschiebungen hergehinkt“. Für die Entwicklung einer fortschrittlichen Bewegung im Protestantismus, seien die Voraussetzungen ungleich ungünstiger. Sie kann „nur in schärfstem Gegensatz zu Luther und seiner Tradition entstehen“. Die ursprüngliche Bedeutung der Gottesidee, soziale Gefühle zu wecken und zu organisieren, schlägt bei Luther ins Gegenteil um, in eine ‚Religion‘ des Eigennutzes. Luther findet dafür die Worte: „Du bist Gott nichts schuldig zu tun, als glauben und bekennen. In allen anderen Sachen gibt er dich los und frei, dass du es machest wie du willst, ohne alle Gefahr des Gewissens.“ Diese Theologie billigte sowohl den Raub der Fürsten am Kirchengut als auch tausendfachen Mord an den aufständischen Bauern.

A-Str
Wolfgang-Abendroth-Straße in Wuppertal

Quellen
Richard Heigl, Oppositionspolitik. Wolfgang Abendroth und die Entstehung der Neuen Linken, Regensburg 2007
http://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/volltexte/2007/651/pdf/Heigl_Abendroth.pdf
Andreas Diers, Arbeiterbewegung – Demokratie – Staat. Wolfgang Abendroth – Leben und Werk 1906-1948, Hamburg 2006
www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/arbeiterbewegung-demokratie-staat-1 (Leseprobe)